Direkt zum Hauptbereich

„local heroes“-Bundesfinale 2019: „Betamensch“ feiern bayerisches Comeback in Salzwedel

„Wir lieben es live zu spielen“, sagen „Betamensch“. Mehr Gründe, um bei „local heroes“ mitzumachen, braucht es nicht. (Foto: Julia Schwendner / Aktion Musik • local heroes e.V.)

Am 9. November brachten insgesamt 15 Newcomer-Acts aus ganz Deutschland beim „local heroes“-Bundesfinale die Bühne im Kulturhaus von Salzwedel zum Beben. Erstmals seit fünf Jahren war auch der Freistaat wieder mit einer Finalistenband vertreten. „Betamensch“ aus Nürnberg sorgte für einen gebührenden Neustart auf Bundesebene. Das Trio ging mit der finalen Startnummer 15 ins Rennen.

„Die Idee ‘Betamensch‘ zu gründen entstand im Sommer 2013, man munkelt es sei eine dieser bekannten ‘Schnapsideen‘ gewesen“, erinnern sich Tobias Ottenschläger, Miguel Mayorga und Johannes Pressl schmunzelnd an ihre Anfangstage zurück. Weit weniger dem Zufall überließen die Drei ihr Fortkommen im Rahmen von „local heroes 2019“. Schon im bayerischen Landesfinale Mitte Juni überzeugten die Mittelfranken Publikum und Jury gleichermaßen. Strukturiert, diszipliniert und bestens vorbereitet lieferten die jungen Musiker ihr Set auf dem „ab geht die Lutzi“-Festival – dem neuen Austragungsort von local heroes Bayern – ab. „Wir freuen uns riesig, Bayern beim Bundesfinale präsentieren zu dürfen und haben natürlich auch die Erwartung an uns selbst, dass wir das würdig machen“, so die Stimmung wenige Wochen vor dem großen Auftritt.

Was für ein „Sound-Gewitter”! „Betamensch” hinterließen in Salzwedel gewaltige musikalische Fußspuren. (Foto: Christoph Eisenmenger / Aktion Musik • local heroes e.V.)

„local heroes“ – das ist gegenseitiger Austausch

Viel wurde seither geprobt und organisiert. „Wir legen großen Wert darauf, dass unsere Songs hängen bleiben, indem wir Melodien schreiben, die wir selbst gerne mitsingen würden und allem voran, dass wir unsere Texte ehrlich verpacken und authentisch bleiben“, sinnieren sie über das, was sie als Band ausmacht und vielleicht sogar bis ganz nach vorne bringen kann. Und wie hört sich das an? In Salzwedel kam das Publikum in den Genuss das zu erleben, was im fernen Rottershausen bereits für Furore gesorgt hat. „Die Songauswahl steht bereits und bedingt durch die kurze Spielzeit von 20 Minuten werden es quasi nur ‘Hits‘ sein. Wir haben ein paar Ideen für das Bundesfinale, mal sehen, ob wir diese umsetzen können“, prognostizierten sie wenige Wochen vor dem großen Auftritt. Und das hat funktioniert. Die Mittelfranken lieferten gegen 0.30 Uhr morgens nicht weniger als energetischen Rock, gepaart mit einer spritzigen Liveshow ab. Geradeheraus, kompromisslos und ohne Umschweife ist die Musik, dabei aber nicht ohne einen gewissen Popappeal – so geht „Aufwachen mit Betamensch!“

Nicht nur dem Trio stand dabei die Freude über die bayerische Rückkehr in den Wettbewerb ins Gesicht geschrieben. Auch das Publikum ließ sich zum Ende des Wettbewerbs noch einmal vollends fesseln. Und so floss nicht nur auf der Bühne jede Menge Schweiß, auch davor wurde gesprungen, getanzt, gesungen und gejubelt, als gebe es kein Morgen mehr. „Diese Chance haben wir nur einmal!“, rief Sänger Miguel in den Raum. Er und seine Bandkollegen haben sie definitiv genutzt. Sie haben alle Kräfte gebündelt und dem „local heroes“-Bundesfinale 2019 zu einem mehr als würdigen Abschluss verholfen.

Interview bei Howie Yagaloo. (Foto: Julia Schwendner / Aktion Musik • local heroes e.V.)

Für eine gelungene Überraschung sorgten „Betamensch“ übrigens schon einige Stunden zuvor: Gleich zu Beginn des Abends hatten sie als erste Band die Gelegenheit, sich auf der Foyerbühne des Kulturhauses vorzustellen. Dort standen sie nicht nur Howie von „Yagaloo“ Rede und Antwort, sondern präsentierten auch ihren Song „Nie mehr“ in einer Akustikversion. Ein durchaus besonderer Moment: Erst kurz vor dem Bundesfinale hatten sich die Drei überhaupt mit dem Thema „unverstärkt“ befasst. Nun gelang ihnen auf Anhieb ein Gänsehaut-Moment mit mehrstimmigem Gesang und einem Publikum, das schnell in den Song einstimmte.

„Betamensch“ habe sich „sehr gut“ geschlagen, so das Urteil von Juror und Coach David Pfeffer, der die Bayern zu seinem „Favoritenkreis“ zählte. Seiner Ansicht nach hätten sie sich „deutlich professioneller“ als manch andere Band im Teilnehmerfeld präsentiert. Die Erfahrung in Sachen Bühne und Songwriting habe man ihnen angemerkt. „Das war schon gut“, lobt er den in Salzwedel hinterlassenen Eindruck. „Betamensch bedienen ein populäres Genre mit einem relativ großen Feld an Bands. Man wird nicht so sehr davon überrascht“, ordnet er das Abschneiden von „Betamensch“ im Gesamtklassement ein. „Trotz alledem waren sie in diesem Feld handwerklich hervorragend.“ Einen speziellen Rat möchte er dem Trio nicht mit auf den Weg geben. „Sie machen das alle schon lange genug und wissen, was sie tun.“ Gerade in punkto Bühnenpräsenz habe er nicht den Eindruck gehabt, dass „Betamensch“ hier „Nachhilfe“ bräuchten.

Unplugged auf der Foyer-Bühne. (Foto: Julia Schwendner / Aktion Musik • local heroes e.V.)

Der „Ausgang“ des Bundesfinales war und ist aber gar nicht entscheidend für die Band. „Wir haben das bereits mehrmals im Landesfinale betont, wir sehen den Wettbewerb nicht als Wettbewerb, sondern als Plattform des gegenseitigen Austauschs, sowohl mit den Bands und dem Publikum als auch mit den Initiatoren und Veranstaltern. Wir fühlen uns nach wie vor super aufgehoben und haben das gesamte ‚local heroes‘ Bayern Team seit Tag Eins ins Herz geschlossen.“ Das Landesfinale sei für sie bereits das „Nonplusultra“ gewesen. „Wir haben super viele tolle Menschen kennenlernen dürfen, neue Kontakte geknüpft und auf einem super charmanten Festival mit einem grandiosen Lineup spielen dürfen. Die Teilnahme am Bundesfinale ist quasi das ‘Zuckerl‘, und wir nehmen dabei gerne mit, was kommt.“

Spagat zwischen Band, Sozialleben und Geld

Ihre Einschätzung von „local heroes“ teilt auch Projektleiterin Julia Wartmann, die das diesjährige Bundesfinale nicht nur ob des historischen Datums, dem „9. November“, unter genau jenes Motto „Begegnungen“ gestellt hat. „Betamensch“ scheinen hier par excellence für einen Gedanken zu stehen, der innerhalb des Projekts seit gut 30 Jahren gepflegt wird. Es geht um Herzblut, Leidenschaft und den Willen, etwas zu bewegen. Tobias, Miguel und Johannes beweisen das seit März dieses Jahres gemeinsam. Seither sind „Betamensch“ in dieser aktuellen Besetzung unterwegs. Nach kurzer Zeit waren sie ein eingespieltes Team, das auch menschlich „gut miteinander harmoniert“. „Die größte Herausforderung ist es für uns, den Spagat zwischen Band, Sozialleben und Geld verdienen zu schaffen“, sagen die Drei. „Das liegt daran, dass man, wenn man eine Band mit unserem kleinen Status ernsthaft betreiben und nach vorn treiben will, sehr viel Zeit und Herzblut investieren muss. Dabei muss aber trotzdem noch die Miete überwiesen werden und dafür gesorgt werden, dass im Idealfall die Freundin nicht wegläuft, auch wenn man mal wieder bei einer Supporttour quer durch Deutschland draufgezahlt hat und die Wochenenden alle mit Proben und Songwriting-Sessions belegt sind.“

Songs über eigene Gefühlswelten

Müssten sie sich selbst bewerten, wären Authentizität, gutes Songwriting und Interaktion die Aspekte, auf die sie am meisten Wert legen würden, „weil das für uns die weitestgehend stilunabhängigsten Kriterien sind“. Dass dies wohl auch ihrem Publikum am wichtigsten ist, zeigte sich nicht zuletzt am 26. April dieses Jahres – der wohl bisher größten Herausforderung in ihrer noch jungen Bandgeschichte. Damals stand der zweite EP-Release in der Astra Stube in Hamburg an. „Wir drei Bayern sind ohne große Erwartungen nach Hamburg zu unserer EP-Releaseshow gefahren“, erinnert sich das Trio. „Letzten Endes wurden wir damit überrascht, dass viele neue und fremde Gesichter zur Show kamen und unsere Texte inbrünstig mitsangen, obwohl wir gar nicht aus der Region kommen.“ Warum ihre Inhalte auch abseits der Heimat so gut ankommen, mag viele Gründe haben. Eine mögliche Erklärung gibt es dennoch: „Wir möchten keine selbsternannten ‘Weltverbesserer‘ sein und werden das auch niemals werden, aber wir möchten mit dem, was wir tun, einige Menschen auf ihrem Weg berühren“, sagen die Drei über ihre inhaltlichen Schwerpunkte und Botschaften. „Wir verarbeiten in unseren Texten unsere eigenen Gefühlswelten. Es geht um Sachen, die wir selbst erlebt haben (Trennung, Realitätsflucht, Freunde, die abgerutscht sind), da wir diese Inhalte am ‘echtesten‘ transportieren können. Es ist ein wahnsinnig gutes Gefühl, wenn Fans schreiben, dass man ihnen durch eine schwere Zeit geholfen hat.“

Dieses Team hat sich gesucht und gefunden: „Betamensch“, das „local heroes“-Bayern-Team und „local heroes“-Projektleiterin Julia Wartmann. (Foto: Dani Red / Aktion Musik • local heroes e.V.)

Auf Authentizität kommt es an

„Betamensch“ sind ambitioniert – das wird schnell deutlich. Auf die Frage, was ein Musikprojekt heutzutage mitbringen müsste, um längerfristig zu bestehen, haben sie denn auch prompt eine Antwort parat. Zunächst sollte ihrer Meinung nach klar sein, welche Art von „Musikprojekt“ man starten möchte. Soll es ein Hobby bleiben oder hat man doch weitere Ambitionen? „Falls es doch mehr werden soll, braucht man definitiv einen langen Atem. Ein gutes Beispiel hierfür sind ‘Billy Talent‘, welche erst nach zehn Jahren, mit einem veröffentlichen Album unter altem Namen, bekannt wurden“, so Tobias, Johannes und Miguel. Ihr Rat: „Man sollte sich als ambitionierter Musiker immer vor Augen halten, dass hinter erfolgreichen Acts immer noch tausende gestrandete Musikerseelen liegen, die es nicht nach vorne geschafft haben. Was wir jedoch immer wieder merken, ist, dass ‘Authentizität‘, sei es musikalisch, im kreativen Prozess oder in der Außenwirkung, immens wichtig ist. Außerdem sorgt das zu machen, was einem am Herzen liegt, und nicht das, wovon man sich schnellen Erfolg verspricht, dafür, nicht den Spaß an der Sache zu verlieren.“

Doch es gibt durchaus Dinge, die liegen nicht in der Hand der Newcomer. Das wissen auch „Betamensch“. „Es gibt viele Hürden, weshalb viele junge Leute weniger bis keine Musik mehr machen, aber das grundlegende Problem liegt an unserer schnelllebigen Gesellschaft“, sind sie sich einig. Man bekomme das Gefühl vermittelt, dass Kunst und Kultur brotlos sei, weshalb Angebote und Fördermöglichkeiten eingeschränkt oder gar ganz gestrichen würden. Was bleibe, sei eine Gesellschaft, die versuche junge Menschen so zu formen, dass sie mit Anfang 20 beginnen würden ihre Doktorarbeit zu schreiben. „Das mag für einige gut und sinnvoll sein, aber Menschen sind und bleiben unterschiedlich, weshalb man andere Denk- und Fördermöglichkeiten ausbauen und anbieten sollte“, so ihre Überzeugung. „In Deutschland ist man getrimmt auf vermeintliche Sicherheiten, bekommt aber selten die Frage gestellt ‘was möchtest du eigentlich?‘ – unserer Meinung nach sollten folgende Punkte in Deutschland wieder einen höheren Rang bekommen: Kunst, Kultur, Gesundheit/Pflege.“

In Bayern gibt’s noch viel zu tun

Zuhause in Bayern hätten es die Musiker*innen mit einer verschärften Situation zu tun. „In der aktuellen Situation im Freistaat ist es so gut wie unmöglich Fördermöglichkeiten zu bekommen, da diese meist mit einem politischen Zweck oder gewissen Auflagen verknüpft sind“, schildern sie ihren Eindruck. „Mit Hinblick auf das Bundesfinale hatten wir diesbezüglich vor mit einer größeren Entourage anzureisen, von welchen wir die Kosten zum Teil durch Sponsoring und Fördermöglichkeiten abfangen wollten, jedoch scheint dies so gut wie unmöglich.“ Überdies sei die Proberaumsituation in Bayern miserabel, was sich auch mit dem noch prekäreren Wohnungsmarkt decke. „Diejenigen, die noch Räume anbieten, ziehen den jungen Musikern leider nur das Geld aus der Tasche. Im Gegenzug erhält man einen versifften, modrigen, kalten Raum, der dann als ‘Proberaum‘ bezeichnet wird.“

All das kann „Betamensch“ jedoch nicht von ihrer großen Leidenschaft abhalten: der Musik. Frei nach dem Motto: „Packen wir’s an!“ schreiben sie aktuell an ihrem ersten Album, welches 2020 mit neuen Shows auf die Bretter geschickt werden soll.

Doch zuvor lässt die Band den Bundesfinalabend Revue passieren: „Wir sind fertig, aber es war schön“, lautete das erste Fazit von „Betamensch“ nach dem großen Finale. Nach vielen Stunden im Kulturhaus haben sie die Anstrengungen endlich hinter sich lassen können und es „verdient zu schlafen“. „Wir freuen uns sehr für alle anderen Bands“, beglückwünschen sie ihre vielen Mitstreiter und Mitstreiterinnen aus ganz Deutschland. Die Zeit in der Hansestadt haben sie jedenfalls gut genutzt und den Netzwerk-Gedanken des Newcomer-Contests mehr als hochgehalten. Dass man in der Zukunft mit der ein oder anderen Bundesfinal-Band etwas zusammen auf die Beine stellen könnte, schließen sie jedenfalls nicht aus. „Dinge zu akzeptieren, wie sie sind. Und dass man um 0.30 Uhr auf die Bühne geht und dann auch abliefern muss“, seien für sie die wesentlichsten Dinge, die sie aus Salzwedel mitnehmen würden. „Wir haben es durchgezogen und sind schon ein wenig stolz!“ Für sie sei es unglaublich gewesen zu erleben, wie viele „geile Bands“ in einer so kurzen Zeit auf die Bühne kämen und „abliefern“ würden. „Das war beeindruckend, so etwas mitzuerleben – auch die Vorbereitungen hinter den Kulissen. Alles hat wunderbar geklappt.“

Mit den Fans zuhause in Bayern wollen „Betamensch“ auf jeden Fall noch einmal feiern – spätestens am 26. Dezember in Nürnberg…

Text: Nicole Oppelt/Lina Burghausen

Kommentare