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„Du musst einfach verdammt lieben, was du da tust!”

Am 9. November entern die „The toten Crackhuren im Kofferraum” („The T.C.H.I.K.”) das „local heroes”-Bundesfinale 2019

Der 9. November 2019 ist in mehrfacher Hinsicht ein bedeutungsschwangeres Datum. Es gilt, nicht nur 30 Jahre Mauerfall zu feiern, sondern auch eine echte Premiere zu begehen: „The T.C.H.I.K.” sind erstmalig Headliner beim „local heroes”-Bundesfinale in Salzwedel. Das Team ist bestens auf diese doppelte Feierstunde vorbereitet. Die Bühne im Foyer wird an die Ereignisse vor drei Dekaden erinnern. Und auch für den Special Act des Abends ist der Weg bereitet. Gleich 15 Bands aus allen Teilen Deutschlands werden die Stimmung bis tief in die Nacht anheizen. Im Vorfeld sprachen wir mit Sängerin Luise Fuckface über Newcomer-Contests, Herausforderungen für junge Bands und Frauen in der Musikbranche.

Freuen sich auf das "local heroes"-Bundesfinale 2019: The toten Crackhuren im Kofferraum. (Foto: Pressematerial)

Mit dem historischen Ereignis „9. November” seid Ihr sicherlich bestens vertraut. Doch wie steht es mit „local heroes” – Deutschlands ältestem und größten Non-Profit-Newcomer-Contest?

Luise Fuckface: Tatsächlich kenne ich den Contest durch die Band „Schmutzki”. Die haben den mal gewonnen. Auf jeden Fall fand ich den Namen so lustig und habe sie praktisch über euch entdeckt, wenn man so will. Tatsächlich habe ich von „local heroes” schon öfter mal gehört, aber mich ehrlicherweise nicht wirklich damit auseinandergesetzt.

Junge Bands können Grenzen austesten

Mauern einreißen, gemeinsam etwas schaffen, Dinge bewegen: Das steht bei „local heroes” seit Jahrzehnten ganz oben auf der Agenda. Wie offen steht Ihr selbst Band-Wettbewerben gegenüber?

Luise Fuckface: Schwierig, vielleicht stehe ich dem tatsächlich ein bisschen zwiespältig gegenüber. Ich wüsste einfach nicht, wie ich Musik bewerten sollte, wäre ich zum Beispiel ein Teil der Jury. Im Endeffekt ist es Geschmacksache und das genau ist ja auch das schöne an der Musik im Allgemeinen. Ich bin mir ziemlich sicher, hätten wir an einem Bandwettbewerb teilgenommen, wären wir niemals in eine engere Auswahl gekommen, da es immer zu viele Menschen gab, die uns eben auch scheiße, kontrovers oder was auch immer fanden. Damit ich Musik toll finde, muss die ein Gefühl in mir machen. Aber wie willst du das bewerten? Auf der anderen Seite finde ich es natürlich für junge Bands auch cool, sich auszuprobieren, Grenzen auszutesten und sich eben auch zu zeigen. Gerade in ländlichen Gebieten wird da ja oft nicht so viel geboten und es ist schwieriger „einfach mal raus” zu kommen. Achja: und natürlich nicht die Gewinnerprämien vergessen! Denn mal ehrlich: Musik machen ist ein scheiß teures Hobby!

In diesem Jahr sind insgesamt 15 von 16 Bundesländern vertreten. Die jungen Leute, die sich in den Probenräumen dieser Republik tummeln, scheinen alles andere als „jung, talentlos und gecastet“ zu sein. Entspricht das auch Eurem Eindruck?

Luise Fuckface: Nee, ich habe mal in die Musik der „local heroes“-Bands reingehört und finde es ziemlich nice, dass da so viel Verschiedenes dabei ist. Und auch „jung, talentlos & gecastet” stehe ich absolut offen gegenüber. Hauptsache, es macht fun fun fun! Nee, also da sind schon ziemlich tolle Bands dabei.

Die diesjährigen Teilnehmer*innen sprühen vor Enthusiasmus und Tatendrang. Was glaubt ihr, was muss ein Musikprojekt heutzutage mitbringen, um längerfristig zu bestehen – und was sollten sie tunlichst dafür tun bzw. nicht?

Luise Fuckface: Das Wichtigste ist, dass man mit Leidenschaft und Spaß rangeht. Es ist scheißegal, wie viel Geld du für irgendwas ausgibst, ob du ein geiles Schlagzeug hast mit einem fetten Logo von dir darauf. Du brauchst keinen eigenen Bus, kein teures Equipment, keinen überteuerten Manager oder Produzenten. Du musst dich auch damit abfinden, dass dich nicht jeder geil findet. Musikmachen ist halt kein „sicherer Job”. Du musst einfach verdammt lieben, was du da tust! Wenn du Bock hast, in deinem Jahresurlaub mit acht schwitzenden, verkaterterten Menschen in einem Sprinter ohne Klimaanlage durch die Walachei zu hampeln, am Wochenende lieber irgendwo in Buxtehude im Jugendzentrum spielst als bei Omas 70sten Geburtstag zu sein und deine Hauptmalzeiten eher aus Chili sin Carne und Raststättenfraß bestehen sollen, dann WELCOME! So sieht Musikmachen hauptsächlich aus. Und ich liebe es!

… was war eigentlich das „Mieseste“, das Ihr jemals für euren Traum vom Musikmachen tun musstet – man erinnere sich an dieser Stelle lebhaft an Euren Song „Jobcenterfotzen“…

Luise Fuckface: Wenn du als Band unterwegs bist, dann verzichtest du eben auch auf vieles. Vor allem auf Freizeit. Vom Jobcenter habe ich mich zum Glück schnell wieder verabschiedet. Das Schlimmste ist häufig wirklich das Essen auf Tour. Wenn es den sechsten Tag hintereinander Bohnen gibt, kannst du dir die gute Luft im Bus bestimmt vorstellen. So richtig schlimme Dinge habe ich nie gemacht. In meiner Wahrnehmung. Ist ja auch Ansichtssache. Wahrscheinlich würden Andere, die jetzt nicht so einer Leidenschaft nachgehen, viele Sachen einfach nicht nachvollziehen können.

Würdet Ihr es nochmal genauso machen?

Luise Fuckface: JA! DEFINITIV!

„Nehmt euch nicht zu ernst und habt Spaß!”

Kreativität und Einsatz der jungen Leute ist eine Sache, das Umfeld, in dem sie sich bewegen (können) eine andere Geschichte. Wo seht ihr aktuell die größten Hürden für Newcomer*innen?

Luise Fuckface: Die größte Hürde ist immer der eigene Anspruch und die vorhandene Zeit. Eigentlich ist es gerade geil, denn durch die Digitalisierung kann man das meiste tätsächlich selbst machen. Man ist nicht mehr auf grünes Licht von irgendwelchen Plattenfirmen, Vertrieben oder sonstiges angewiesen. Du kannst mehr entscheiden, hast mehr Freiheiten aber dadurch natürlich auch mehr Arbeit. Man muss sich auf jeden Fall gut selbst in den Arsch treten können und, entschuldige meine Wortwahl, „einen fick geben” und sein Ding einfach machen. Unsere Musiklandschaft ist wahnsinnig vielfältig und spannend und das wäre sie nicht, wenn jeder Musiker sich nur auf das konzentrieren würde, was gut läuft, was gehyped wird, was irgendwelche A&Rs zu sagen haben. Ich denke, die größte Hürde ist, sich selbst genügend abzufeiern und zu pushen und trotzdem dabei realistisch zu bleiben.

Und welche Tipps könnt ihr als eine etablierte Band Newcomer*innen mit auf den Weg geben?

Luise Fuckface: Niemals würde ich uns als etablierte Band bezeichnen. Mit jedem Album, Tour etc. fängt der Struggle von vorne an. Aber wenn ich einen Tipp geben sollte (und ich habe ja hier schon ein paar besserwisserische Floskeln abgelassen), dann: Nehmt euch nicht zu ernst und habt Spaß!

Weibliche Artists sind bis heute in der Musikindustrie weniger sichtbar. Braucht es besondere Maßnahmen, um Frauen und Mädchen zu fördern?

Luise Fuckface: Ja, unbedingt! Frauen sollen ja schon eher die Vernünftigen sein und sich dann eben lieber für einen sicheren Job bei der Bank (ok, voll Klischee) als für die Musik entscheiden. Viele Teile meiner Familie hatten für meinen Berufswunsch erstmal kein Verständnis. Das ist schon mal eine große Hürde. Dazu kommt natürlich der allgemeine Chauvinismus. Eine Frau hat in vielen Köpfen immer noch irgendwie hübsch, attraktiv und fickbar zu sein. Und wenn dem nicht so ist, dann muss man wenigstens mal darüber gesprochen haben. Als Frau muss man sich viel zu sehr mit Oberflächlichkeiten rumschlagen um einfach nur Musik machen zu können. Wenn dann unter einem Video steht „man die Musik ist ganz geil, aber die Alte sieht aus wie ein fettes Pferd”, dann brauchst du schon ein fittes Ego, um dich davon nicht demotivieren zu lassen. Wir sind da auf einem guten Weg und es gibt tolle, unkonventionelle, erfolgreiche Frauen in der deutschen Musiklandschaft. Das freut mich sehr.

Ihr habt euch in Berlin gegründet und kommt nun nach Salzwedel. Die Herausforderungen in ländlicheren Regionen sind mit denen in der Hauptstadt kaum zu vergleichen. Habt Ihr Tipps für junge Musiker*innen, Bands, aber auch Leute, die in ländlicheren Regionen etwas starten wollen?

Luise Fuckface: Wir hier in unserer Berlinblase sind da natürlich schon sehr verwöhnt. Ich bin mir auch ziemlich sicher: die Crackhuren würde es so nicht geben ohne diese Großstadt, in der so ziemlich alles möglich ist. Dafür ist es hier viel anonymer. Was mir aber auffällt, ist, dass in ländlichen Regionen der Zusammenhalt einfach größer ist. Es gibt tolle Vereine und Menschen in Orten, die sich nicht entmutigen lassen und selbst Dinge organisieren. Shoutout an das Apen Air im Ammerland und das Karben Open Air. Beides wahnsinnig tolle Festivals, auf denen, neben bekannteren Bands, auch viel Newcomer und Locals spielen. Da stecken auch keine Riesenkonzerne dahinter, sondern Menschen, die Bock haben, was in ihren Heimatorten zu tun. Da packt dann jeder an. Die Muttis machen das Bandcatering, der Nachbar die Grafiken, jemand aus dem Nachbardorf die Bühne, es gibt tollen Apfelwein aus der Region. Die ganze Nachbarschaft ist involviert. Und wenn dann die Band aus Karben in Berlin spielt, na dann reist eben auch halt Karben dafür an. Das ist schon ziemlich klasse.

„Jeder sollte sagen, schreiben können, was er für richtig hält”

Als Band verfolgt Ihr eine klar feministische und empowernde Agenda, die Ihr gern satirischen, dystopischen und überzeichneten Texten angeht. Warum ist das in Euren Augen der Schlüssel zu mehr Gleichberechtigung?

Luise Fuckface: Ich weiß nicht, ob das DER Schlüssel zu mehr Gleichberechtigung ist. Darüber mache ich mir beim Schreiben auch keine Gedanken. Ich schreibe über Sachen, die mich beschäftigen und mich interessieren. Und dieses „sich-darüber-keine-Gedanken-machen-müssen”, das ist für mich Gleichberechtigung. Jeder sollte sagen und schreiben können, was er für richtig hält, ohne sich anhören zu müssen: „Boa, für ne Frau/Trans/Mann/Sternchen voll krass”. Und so ziehen wir das eben seit Jahren durch.

Zurück zum Abend des 9. Novembers im Kulturhaus Salzwedel. Ein besonderer Rahmen und besondere Umstände erfordern sicherlich auch von Eurer Seite besondere Vorbereitungen. Was bringt ihr dem Publikum und den Teilnehmer*innen mit?

Luise Fuckface: Ich kann nicht zu viel verraten, aber: Es wird wie immer hot hot hot, lustig, laut und feuchtfröhlich. Wir werden einfach Spaß haben und hoffen, dass die Leute es uns gleichtun.

Das Interview führte Nicole Oppelt.

HIER gibt es alle Infos zum local heroes Bundesfinale am 9.11. in Salzwedel

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