Das „ab geht die Lutzi“ bot in diesem Jahr nicht nur jede Menge Musik. Das Publikum hatte auch Gelegenheit, sich weiterzubilden.
Dieser Secret Gig stand stellvertretend für die Philosophie des „ab geht die Lutzi“: Die Punkband ZSK, Gründer der Initiative „Kein Bock auf Nazis“, spielte sich auf dem Marktplatz in die Herzen des Publikums. (Foto: Dani Red)
Die Macher:innen des fränkischen Kult-Festivals haben ihr Angebot für die Region weiter ausgebaut. Auf der neu eingerichteten Waldbühne am Rande des Campinggeländes wurde ein ruhiger Raum geschaffen, der Platz für wichtige Themen bot. Eingeladen waren unter anderem Sozialpädagoge Bastian Drumm („Kein Bock auf Nazis“) und Zoologin Lisa Graskamp vom Naturerlebniszentrum Rhön (NEZ).
Vom bunten Trubel des Campinggeländes ist es nur ein kurzer Fußmarsch zur neu eingerichteten Waldbühne. (Foto: Lukas Held)
Erstmals war das beliebte „ab geht die Lutzi“-Festival gleich an zwei Tagen restlos ausverkauft. Und die rund 12.000 Besucher:innen konnten an diesem letzten Juni-Wochenende viel erleben. Die gut 600 Helfenden sorgten dafür, dass 44 Künstler:innen auftreten und fast 80 Programmpunkte reibungslos über die Bühne gehen konnten. Zu den Highlights des Festivals gehörten aber nicht nur musikalische Größen wie Bosse oder Mando Diao, sondern auch das Drumherum. „Unser Workshop- und Vortragsangebot für alle Gäste sowie das gesamte Rahmenprogramm wurden unglaublich gut angenommen“, resümiert Festivalchef Christian Stahl. „Herzlichen Dank an alle Mitwirkenden und alle, die den Weg zu unserer neuen Waldbühne gefunden haben.“
Refugium „Waldbühne“: „ab geht die Lutzi“ – das ist nicht nur Party. Das ist auch Reflektion und Lernen. (Foto: Dani Red)
„Rechter Lifestyle“ muss neu betrachtet werden
Dort, am Rande des großen Camping-Areals, schlug am Festival-Samstag Bastian Drumm seine sprichwörtlichen Zelte auf. Seit vielen Jahren organisiert der Sozialpädagoge mit einer Gruppe aus Kusel das „Kein Bock auf Nazis“-Festival, das sich gegen rechte Gewalt und Rechtsextremismus richtet. In Rottershausen nutzte der „Hans-Frankenthal-Preisträger 2023“ die Gelegenheit, um mit den sehr zahlreich erschienenen Festivalgästen über die Rechte Szene im Wandel zu sprechen.
Sozialpädagoge Sebastian Drumm gab den Anwesenden nicht nur viele Denkanstöße, sondern auch handfeste Empfehlungen mit auf den Weg. (Foto: Dani Red)
In seinem bewegenden Vortrag, der immer wieder von spannenden Publikumsfragen begleitet wurde, veranschaulichte er Musik, Codes und den Lifestyle der rechten Szene. Seine eindringliche Botschaft: Die Zeiten in denen sich Nazis mit Glatze, Springerstiefel, Blue Jeans und Bomberjacke zeigten, sind größtenteils vorbei. Heute gilt es, genau hinzusehen und zu hören. Denn sie tragen hippe Klamotten („Nipster“), hören Rap-Musik und sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das hat Konsequenzen. Denn die zunehmende Etablierung der Symbolik, Codes, Musik und Kleidung der Rechten führt auch dazu, dass das Thema „Rechter Lifestyle“ neu betrachtet werden muss. Für den 41-Jährigen ist daher klar: Nazis sind heute wesentlich schwieriger zu erkennen als noch vor ein paar Jahren. Aber: Ihre menschenverachtende Ideologie bleibt gleich.
„local heroes Bayern“-Maskottchen Bragi bezieht Stellung. Auch das ehrenamtliche Team von Deutschlands größtem und ältesten Non-Profit-Musikpreis hat „Keinen Bock auf Nazis“. (Foto: Dani Red)
Scheinbar harmlose Texte
So verwies Drumm unter anderem auf ein bundesweit bekanntes Beispiel, das sich vor einigen Jahren im rheinland-pfälzischen Kirchberg zugetragen hat. Dort hatten Schüler:innen bei ihrer Abschlussfeier ein Lied der Nazi-Band „Sleipnir“ gesungen. Vom Bundesamt für Verfassungsschutz wird sie als rechtsextremistische Band eingeschätzt. Das Problem war, so Drumm, dass der Song („Verlorene Träume“) „vom Text her erst einmal nicht unbedingt als rechtsextremes Gedankengut zu erkennen“ war. Darin sei es um scheinbar harmlose Dinge, „wie gemeinsame Zeit, die man verbracht hat und Freundschaft“ gegangen. Die Lehrer:innen waren offenbar ahnungslos. Und nicht nur diese. Bastian Drumm zufolge sei es noch heute „in Jugendzentren oftmals so, dass Unwissenheit herrscht – gerade bei Menschen, die sich eigentlich mit Sub- bzw. Jugendkultur zumindest ansatzweise beschäftigen sollten“. Es sei daher wichtiger denn je, sich mit diesen Themen zu befassen. Denn: „Nur wenn man informiert ist, kann man das auch bekämpfen.“
Die Waldbühne ist ein Raum für Themen, „über die geredet werden können“, sagt das „Lutzi“-Team. Die Anwesenden nutzten diese Gelegenheit ausführlich. (Foto: Dani Red)
Im Laufe seines Vortrags präsentierte Bastian Drumm noch zahlreiche weitere Beispiele aus der Musikszene und gab Einblicke in die verdeckten Strukturen, die Auftritte solcher Acts überhaupt erst ermöglichen. Er entschlüsselte auch einschlägige Abkürzungen bzw. Codes, die in der Szene verwendet werden und vielleicht nicht jedem geläufig sind: Etwa ein Kasten Bier, der für 18,88 Euro verkauft wird. „18 steht hier für Adolf Hitler, 88 für Heil Hitler“, erklärt der Experte. Auch in der Vergangenheit typische Kleidungsmarken wie „Fred Perry“ oder „Lonsdale“, die von der Szene „missbraucht worden sind“, seien mittlerweile passé. Dennoch gebe es nach wie vor Modemarken, die klar zuordbar seien, wie etwa „Thor Steinar“ oder „Ansgar Aryan“. „Als Fascho kannst du dir mittlerweile die Subkultur aussuchen“, erklärt Bastian Drumm die aktuell herrschende Vielfalt auf dem Fashionmarkt. Und nicht nur dort: „Früher hat sich der Mensch an die Szene angepasst“, heute sei das umgekehrt – inklusiver hervorragender Social Media-Arbeit.
Die Punkrock-Band „Montreal“ war bereits zum dritten Mal in Rottershausen zu Gast. Auch diese Musiker haben sich klar positioniert, gegen Rassismus, gegen Ausgrenzung für ein friedliches und soziales Miteinander. (Foto Janis Hinz)
Musikfestivals versus Natur? Nicht unbedingt!
Im Anschluss an diese durchaus aufreibende Stunde, betrat die Zoologin des Naturerlebniszentrums Rhön in Hammelburg und Bad Kissingen, Lisa Graskamp, die Waldbühne. Unter dem Titel „Sind Fledermäuse Metalfans?“ widmete sie sich dem Thema „Musikfestivals und die Natur drum herum“. Der Vortrag war (nicht nur) für alle gedacht, die schon immer einmal wissen wollten, ob Amseln eigentlich auch den Bands zuhören und hinterher die neusten Hits zwitschern. Oder, ob Regenwürmer betrunken werden können, wenn das Bier neben dem Zelt landet. Aber um es vorwegzunehmen: Fledermäuse verfügen tatsächlich über ein gewaltiges Lautvolumen. Und ja, für den tiefsten Bereich ihres Stimmumfangs nutzen diese Tiere offenbar eine Technik wie Interpreten des Death Metals – das so genannte Growling. Herausgefunden hat das eine Arbeitsgruppe um Coen Elemans von der Süddänischen Universität in Odense, die den Stimmapparat von Wasserfledermäusen untersucht haben. Die Crux in unseren Gefilden: Der Abendsegler bekommt ziemliche Probleme bei lauter Musik. Im schlimmsten Fall verlässt er seine Höhle gar nicht mehr und könnte verhungern.
Zoologin Lisa Graskamp plädierte für einen achtsamen Umgang von Festival-Organisator:innen und Gästen mit der Natur. Hierzu lieferte sie anschauliche Beispiele. (Foto: Lisa Fuchs)
Musikfestivals, diesen Eindruck haben wohl viele, können mit Blick auf die Natur also durchaus problematisch sein. Es gibt viel laute Musik, noch mehr Menschen, Müll und Lichtverschmutzung. Doch Lisa Graskamp beruhigt: „Wir wollen Musikfestivals nicht komplett verbieten.“ Immerhin gebe es in Deutschland circa fünf Millionen Festivalgänger pro Jahr. Das seien mehr Menschen, als in Berlin wohnen. Aber ohne Sensibilisierung geht es eben nicht: „Die Anwohner:innen fragt man, die Tiere, die dann darunter leiden, eher nicht.“ Das sei ein Problem, denn die Lautstärke bei so einem Konzert erreiche gern 100 Dezibel am Abend. „Das ist wie ein Presslufthammer. Für die Tiere könnte man sich das so vorstellen, wie wenn im Dorf die ganze Zeit, drei Tage lang, die Feuerwehrsirene angeht.“ Die Auswirkungen seien etwa bei Vögeln sehr gut untersucht. Diese benötigen ihren Gesang zur Fortpflanzung. „Einige von ihnen lösen das auf zwei verschiedenen Wegen. Einmal singen sie höher, wie zum Beispiel die Amsel“, erklärt die Expertin. Die zweite Möglichkeit, sie würden länger singen, so wie das Rotkehlchen. Das bedeute, die Uhr verschiebe sich, sie fangen früher an, hören später auf - beides zusätzlich lauter. „Das heißt aber auch, sie kriegen irgendwann ziemliche Probleme untereinander und haben nicht mehr einen so hohen Fortpflanzungserfolg.“
Kritisch sei auch das abendliche Licht, das Insekten anziehe. „Das Problem ist, dass ungefähr 75 Prozent der Insekten, die davon angezogen werden, auf dem Boden landen“, erklärt die Expertin. Alles, was Insekten frisst oder zwecks Bestäubung darauf angewiesen sind, zieht so den Kürzeren.
„Eine Zigarette verseucht 40 Liter Wasser“, informierte Lisa Graskamp. Auf der „Lutzi“ wird etwas dagegen getan. (Foto: Dani Red)
Das Lutzi-Festival macht viel richtig
Studien über Auswirkungen von Festivals auf die Natur bzw. Tiere gebe es mittlerweile viele, so Lisa Graskamp, die aber auch betont: „Man muss sagen, beim Lutzi-Festival gibt sich die Crew schon wahnsinnig viel Mühe.“ Sie verweist hier unter anderem auf das Müll-Pfand-System, die Verwendung nachhaltiger Produkte oder die Verteilung von Taschenaschern. Auch die Location und das Datum des Festivals, Stichwort brütende Vögel, seien gut gewählt. Generell empfiehlt sie mit den örtlichen Naturschutzbehörden zu sprechen. „Die wissen, wo sind die gefährdeten Arten. Wann ist gerade Brutzeit. Wo gehe ich vielleicht nicht hin.“
Das NEZ war auch auf dem Lutzi-Marktplatz zu finden. Dort hat das Team mit allen anderen Festivalgänger:innen drei absolut friedliche Festivaltage verbringen dürfen. „Unser herzlichster Dank an alle! Passt weiterhin so gut aufeinander auf!“, freut sich Christian Stahl und sein Team über das gelungene Wochenende. Nach der Lutzi ist hier aber auch schon vor der Lutzi. Diese findet vom 26. bis 28. Juni 2025 statt.
Die schwedische Band „Mando Diao“ beschloss das diesjährige „ab geht die Lutzi“-Festival. Für viele Anwesende, inklusive dem Organisations-Team, gehörte dieser Auftritt zu den Highlights des Wochenendes. Traditionell wurde die „Lutzi“ im Anschluss mit einem Feuerwerk über Rottershausen verabschiedet. Auf die nächste „Lutzi“ 2025! (Foto: Lukas Held)
Text: Nicole Oppelt
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