Mellow Mark fordert mehr Engagement gegen Islamophobie: Wir müssen die „Bombe“ gemeinsam entschärfen
„Keiner hat unsere Position in den großen Medien transportiert”, sagt Mellow Mark. Es ist Zeit für eine Veränderung. (Foto: Sebastian Matthäus)
Der deutsche Reggae-Künstler Mellow Mark setzt ein musikalisches Zeichen gegen Islamophobie. Gemeinsam mit dem österreichisch-türkischen Rapper Nasihat Kartal, dem deutschen MC Musa Gerner und dem Charity-Sänger und Charité-Arzt Dr. VolkanikMan hat er Mitte Juni den Song „Attention“ veröffentlicht. Der Titel will jedoch mehr als der mahnende Zeigefinger sein. Er bietet handfeste Lösungsansätze für Jedermann.
Kritische und nicht selten unbequeme Töne, die sind seine Fans seit vielen Jahren von ihm gewohnt. Mellow Mark alias Mark Schlumberger nimmt kein Blatt vor den Mund. Das Geschehen um ihn herum beobachtet er genau und verarbeitet seine Gedanken, ob missmutig oder freudig, in eingängiger Musik. Die vergangenen Monate boten dem schon vor langer Zeit zum Islam konvertierten Echo-Gewinner jede Menge Stoff zur intensiven Auseinandersetzung. Entstanden ist nun auf Initiative von Nasihat Kartal hin der Song „Attention“. Hier vereint sich Mellow Mark mit seinen langjährigen Musikerkollegen erstmals auf Deutsch, Englisch und Türkisch in einem „Rap-Ragga-Appell an den gesunden Menschenverstand“.
Wenige Tage vor Beginn des heiligen Fastenmonats Ramadan wurde das Feature, welches „wie der Islam für Empathie, Barmherzigkeit und Frieden wirbt“, auf YouTube online gestellt. Mittlerweile haben gut 4000 Menschen die Gedanken der Künstler zu islamisch-radikalen Extremisten, die weltweit Spannungen verursachen, und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für Millionen Muslime angesehen. Mit Sorge beobachtet das Quartett die scheinbar zunehmend antiislamische Stimmung und selbstredend auch die umstrittene Bewegung „Pegida“.
Muslime können das Zünglein an der Waage sein
Doch wo sind die Muslime? Zwischen den nicht selten verheerenden Schlagzeilen rund um den Globus finden sie nach Ansicht der Künstler kaum Gehör. Dabei sind genau sie das Zünglein an der Waage. Sie sind diejenigen, die das Ruder herumreißen und dafür sorgen können, dass die breite Gesellschaft wohl zwischen Extremisten und friedlichen Gläubigen zu unterscheiden lernt.
„Das Thema wird leider seit Jahren immer wieder durch schlimme Ereignisse nach oben gespielt“, sagt Mellow Mark über den Song, der seine Aktualität wohl noch lange nicht einbüßen wird. Auch in seinem direkten, privaten Umfeld spüre er mittlerweile deutlich die Anti-Haltung gegenüber dem Islam. Für ihn sei das neu, habe er die Menschen doch bislang offen und tolerant erlebt. „Jetzt hat man ein meiner Meinung nach medial gesteuertes Bild.“ Die Folge: Muslime stehen unter Generalverdacht. Ein bestimmtes Bild werde oftmals ohne Differenzierung auf den Einzelnen projiziert. Er selbst thematisiere seinen Glauben nicht mehr so offen wie früher.
Das Video „Attention“ ist in mehreren Städten entstanden und wurde dann zusammengefügt. (Screenshot YouTube)
In den Köpfe laufen falsche Filme ab
„Charlie Hebdo hat der Pegida-Bewegung leider sehr in die Hände gespielt. Gleichzeitig ist jedoch eine starke Bewegung gestartet, die differenziert und bewusst gegen Islamophobie agiert, wie zum Beispiel das Satiremagazin 'Titanic', die sich ganz aus der allgemeinen Negativ-Darstellung herausgezogen haben. Sie waren sich offenbar bewusst, welche Wirkung die Medienberichte auf den Otto-Normal-Verbraucher haben“, fasst Mellow Mark seine Beobachtungen zusammen. Hier gehe es gar nicht um die kleine Gruppe von Extremisten und auch nicht um Leute, die den Islam fürchten oder gar hassten, sondern um eine breite Masse von Muslimen, die sich äußerst positiv in die Gesellschaft einbringe und trotzdem stigmatisiert werde. „Bei vielen Leuten läuft hier ein Film im Kopf ab. Sie beschäftigen sich nicht mehr mit dem Menschen, sobald sie einen Moslem vor sich haben.“ Das habe dann ganz konkrete Auswirkungen. Muslime bekämen etwa eine Wohnung oder einen Job nicht. Es geschähen Dinge, die man sonst nur vom Rassismus kannte. Dank der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), der sich viele Konvertiten zugewandt hätten, seien diese nun ebenfalls verstärkt unter Beschuss. Ein Dialog finde im Augenblick nicht wirklich statt, kritisiert der 41-Jährige. Geschuldet sei das eben auch der massiven Medien-Darstellung. Doch genau das sei der Fehler. „Wir müssen in den Dialog treten!“
Vorurteile einreißen: Einladung zum Tee oder Fastenbrechen
„Unser Ansatz war: Wir sind jung, wir sind cool und wir singen ein Lied von vier Muslimen für die eingeschüchterte, Medienkonsum gesteuerte Masse“, erklärt er die aktuelle Konstellation. „Wir hoffen, dass wenigstens ein paar Leuten durch dieses Lied klar wird, dass es eine Schwierigkeit ist, dass sich in dieser Medienwelt bestimmte Schlagzeilen sehr gut durchsetzen, andere wie 'Wir bieten Euch Freundschaft an, geben Euch die Hand, nehmen Euch die Angst!' hingegen kaum wahrgenommen werden.“ Seinen Beitrag leisten, um diese Situation zu ändern, könne jeder, sind die vier Künstler überzeugt. Eine einfache Einladung zum Tee oder zum Fastenbrechen, was in fast allen Städten angeboten werde, könne schon viel bewirken.
„Wir müssen uns nicht rechtfertigen. Wir fühlen uns ungerecht behandelt. Wir möchten das aber auch gerne klären und bieten an, dass wir auf Euch zukommen und die 'Bombe' entschärfen. Aber dann müsst Ihr uns auch die 'Bombe' entschärfen lassen. Dann können wir gemeinsam als Muslime mit Euch als Nicht-Muslime das Problem der Extremisten angehen und klären“, sagt Mellow Mark.
Den Leuten müsse bewusst werden, dass das, woran sich Extremisten klammern, nichts mit dem Islam zu tun habe. Hier gehe es um ein „Phantasiegebilde“. Wirkliche Kenntnisse des Korans hätten sie offenbar ebenso wenig wie Bildung. „Man könne nicht einfach Stellen des Korans hernehmen und diese ohne Rechtsverständnis und ohne historischen Hintergrund auslegen“, mahnt der Musiker. „Der Islam ist deswegen eine Hochkultur geworden, weil die Menschen reflektiert waren. Weil sie anhand des Korans mit der jeweiligen Situation umgehen konnten. Weil sie eine Verbindung zur Wirklichkeit hatten.“
„Es ist wichtig zu zeigen, wie normale Muslime sind. Wie sie ticken, wie sie leben“, so Mellow Mark. (Foto: Pressematerial)
Extremisten, davon ist er überzeugt, haben oft selbst schlimme Dinge erlebt. Und diese führten nun zu einer extremen Gegenreaktion aus der „absoluten Hilflosigkeit heraus“. Es gebe sicher Ursachen dafür, warum ausgerechnet solche Menschen nach oben kämen. „Das kennen wir doch als Deutsche sehr gut. Da müssen doch gerade wir verstehen, dass man diesen Radikalen keinen Boden gibt. Man muss versuchen, gemäßigte Gruppen, die den Islam positiv und friedlich leben, zu stärken und eben nicht Soldaten, die losziehen und ganze Landstriche radikalisieren und die Menschen dort in große Not stürzen.“ Im Augenblick jedenfalls würden wir nur das ernten, was wir einst aufgrund eigener Interessen in fremden Ländern gesät hätten.
Keine Rechtfertigung und keine Distanzierung mehr
Das Fazit der Truppe fällt entsprechend aus: „Wir brauchen wieder positive Schlagzeilen!“ Es sei wichtig zu zeigen, wie normale Muslime sind. Wie sie ticken, wie sie leben. Die Zeit der Rechtfertigung und der Distanzierung des Einzelnen müsse vorbei sein. Denn niemand habe das mitbekommen, so Mellow Mark. „Keiner hat unsere Position in den großen Medien transportiert. Es waren immer nur die quotenträchtigen Schlagzeilen, die das Fass zum Überkochen bringen. Die schönen, guten und kleinen Dinge des Lebens werden in dieser Flut der Nachrichten nicht wahrgenommen.“
Die Gesellschaft, so schließt Mellow Mark, dürfe nicht auseinanderbrechen. Es sei wichtig, sich die Menschen genau anzusehen und kennen zu lernen. Gebt Euch die Hand – von beiden Seiten!
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