„Man braucht Wurzeln, man braucht Halt, um dann aber auch die Flügel auszubreiten und Ziele zu erreichen“, erklärt Mellow Mark die Idee zum Albumtitel. (Foto: Sebastian Matthäus)
Seit dem 26. Juni ist der Reggae-Künstler Mellow Mark mit seinem neuen Album unter eigenem Label zurück. „Roots & Flügel“ heißt die Scheibe, die von House of Riddim-Gründer und Bandleader Sam Gilly produziert wurde. Der Titel kommt nicht von ungefähr. Mellow Mark begibt sich musikalisch zu seinen Wurzeln, er scheint sie aber auch endlich in Form seiner eigenen Familie gefunden zu haben. Entstanden ist so ein vielschichtiges Werk, das persönliche Momente mit kritischen Botschaften an die Gesellschaft vereint.
Bereits der Einstieg in „Roots & Flügel“ gibt einen Eindruck davon, wohin die „Reise 2015“ geht. Schmunzeln und Tiefgang treffen aufeinander, als „Agent Orange“ gleich beim ersten Titel „Explosion“ das Mikro ergreift. Seit 2013 ist der fiktive Charakter und Alter Ego von Mellow Mark den Fans ein Begriff. Mit „Weltweit Stasi“ hat er sich 2014 musikalisch vorgestellt. Jetzt gibt er den ersten Part einer langen Liste von Kollegen, die der Künstler auf seinem Album zusammengetrommelt hat.
Für Mellow Mark ist „Agent Orange“ eine lustige, aber auch ironisch-sarkastische Figur, die sich aus seinen Live-Auftritten heraus entwickelt hat. „Er muss nicht immer ganz so ernst genommen werden“, erklärt Mellow Mark das Konzept. Sein Geheimagent der Geheimdienstorganisation „L.I.E.B.E.“, die Liebe und Empathie verbreitet, dürfe im Gegenzug aber auch bedeutend mehr, als Mellow Mark selbst. Er bewege sich insgesamt freier, bediene sich der englischen Sprache, sei mutig und traue sich etwas. Natürlich sei „Agent Orange“ auch als Zitat des Vietnam-Krieges zu verstehen. Ein „Hofnarr und Mahner“ eben, der „durch die Blume“ Klartext spricht und so hoffentlich auch den „König“ erreichen kann. Und er sucht Gleichgesinnte: Weitere „Agenten“, so der Musiker, seien herzlich willkommen.
Roots Reggae in fast 100 Prozent reiner Form
Vielleicht mögen sich diese ja nach dem ersten Anhören von „Roots & Flügel“ anschließen. Denn der zuletzt gewohnte „Mellow-Mark-Mix“ aus Reggae, Rock, Pop, Rap samt gesellschaftskritischer Texte wurde diesmal bewusst aufgebrochen. Neue Aspekte, wie „Mellow Maroc“, „Mellow Singer-Songwriter“ oder „Mellow One-Man-Band“ wurden außen vor gelassen. „Es ist einfach ein Mellow Mark Album, wie ganz früher“, fasst er zusammen. „Es geht zurück zum Roots Reggae - und das in fast 100 Prozent reiner Form.“ Konzentriert habe er sich diesmal vor allem auf die Texte. Entstanden sei so ein „ganz klares“ Album mit klaren Aussagen. „Es hat eine eindeutige politische Message mit einem Aufruf zum zivilen Ungehorsam.“
Begeistert hat dieses Konzept offenbar auch viele seiner langjährigen Weggefährten. Die Liste der Mitwirkenden liest sich wie das „Who-is-Who“ der Szene. Miwata, Ganjaman, Jahcoustix, Uwe Kaa, Don Caramelo (Raggabund aka Caramelo Criminal), Crosby Bolani, Stephen Keise, Son Of Slaves, Mirta Junco Wambrug, Miss Flint Flinte, Robotermark und viele mehr gesellen sich bei Titeln wie „Zuflucht“, „Reggae Island“, „Elefanten“, „Unite“, „Mensch In Maschine“ oder „A.Z.Z.U.“ dazu. „Es ist eine richtige Familie“, so Mellow Mark. Zwar würden sich nicht alle untereinander kennen. Doch genau in diesem Umstand drücke sich ein weiterer Grundgedanke aus: Vernetzung. Sich zusammen hinter eine Message zu stellen und durch diese geballte, gemeinsame Breite auch Menschen zu erreichen.
„Kinder dieser Erde, empört Euch!“
„Kinder dieser Erde, empört Euch!“, fordert daher auch Mellow Mark in Anlehnung an den bekannten Essay des ehemaligen französischen Widerstandskämpfers und UN-Diplomaten Stéphane Hessel. Es gelte sich einzusetzen „gegen naive Wachstumsgläubigkeit und Ausbeutung und für aktives Denken und Handel“, fassten andere Autoren bereits seine Intention zusammen. Mellow Mark selbst würde sich einfach wünschen, dass die Menschen wieder anfingen, „Dinge zu hinterfragen“. Bestes Beispiel hierfür sei etwa das Thema NSA, dessen er sich auch als Künstler bereits vor einiger Zeit angenommen hat. Sein Song „Weltweit Stasi“ erschien im September 2014. Von seiner Aktualität hat er aber bislang nichts eingebüßt. Und das wird voraussichtlich noch eine ganze Weile so bleiben. Denn das „Top Thema“ von einst beschäftigt nicht nur ihn weiterhin. „Es ist gut, dass die Leute hier wach sind“, so Mellow Mark, dessen Hommage an Whistleblower, Refugees und politisch Gefangene, die ihr Leben für die Wahrheit aufs Spiel setzen, auf YouTube mittlerweile die 33.000-Klicks-Marke durchbrochen hat.
Verbreitet hat sich das Video ohne einschlägigen finanziellen Push. Und auch die zweite Single „Elefanten“ mit dem südafrikanischen MC und Sänger Crosby Bolani, die Anfang Juni erschienen ist, bahnt sich mit bereits fast 10.000 Klicks unweigerlich seinen Weg durch das Netz. Auch Mellow Mark hat in den vergangenen Jahren viel Zeit in Südafrika verbracht. Für ihn ist das Land ein Symbol für die Befreiung aus der Apartheid und die Abschaffung des Rassismus. Ob das Ganze letztlich tatsächlich so funktioniert habe, stünde jedoch noch einmal auf einem ganz anderen Blatt, stellt Mellow Mark heraus. Fest stehe, der im Song auch erwähnte Nelson Mandela sei eine „Schlüsselfigur, ein Symbol für Freiheit und Anti-Rassismus“.
Der Elefant selbst stehe für ein empathisches, familienbezogenes Tier. Er sei ein sensibler Dickhäuter, der trample und natürlich auch Amok laufen könne. „Er ist ein gutes Bild für die Inflation dieser Wachstumsgläubigkeit. Denn die Leute, die herunterfallen vom Teller, die werden nicht geachtet bei dieser 'Wir steigern das Bruttosozialprodukt-Einstellung'.“ Werde die Elefantenherde also einmal losgelassen, kenne sie auch keine Gnade, das habe man nicht zuletzt bei den Unruhen in den Pariser Vororten erlebt. Umso sinnvoller sei es, darauf zu achten, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht zu sehr auseinanderklaffe. Auf der anderen Seite sei „Elefanten“ aber auch einfach nur ein Reggae-Song. Es gehe darum Spaß zu haben und einfach nur zu tanzen.
Das Leid von Flüchtlingen, TTIP, ausgehebelte Demokratie, die Durchsetzung rein ökonomischer Interessen und damit der „Angriff auf unsere Freiheit, unsere Individualität, unsere Vielfalt und unsere Errungenschaften in Europa“ sind weitere Themen, die Mellow Mark gezielt anpackt. Der Stoff wird ihm wohl auch in Zukunft nicht so schnell ausgehen. „Wenn man schon die Gesetze nicht ändern kann, dann muss man zumindest die Köpfe der Leute aktivieren. Denn das System allein ist nicht verantwortlich“, lautet deshalb seine Überzeugung, gerade in Bezug auf die aktuelle Flüchtlingsproblematik. Man stelle sich einfach vor, selbst in dieser Situation zu sein. „Hier können wir etwas gut machen!“
„Roots & Flügel“ geht aber nicht nur die großen Themen an. Das Album kann durchaus auch als Zeitdokument für Mellow Marks eigene Kinder gelesen werden. Er konserviert das aktuelle Weltgeschehen, kritisiert es und findet klare Worte in Richtung seiner Mitmenschen. Von Zeit zu Zeit werden die beiden Kids direkt angesprochen und auch ein klares Bekenntnis zur Familie findet sich in „Familiy Man“ wieder. Genau das sei das tatsächlich „Neue“ an diesem Album, vor allem, wenn man es etwa mit seinem Debüt „Sturm“ aus dem Jahr 2003 vergleiche. Von der damaligen „Sturm-und Drang-Phase“ sei wenig übrig, so der Familienvater. Heute sei ein anderes Gefühl vorherrschend: Über allem kreise die Frage, was wird eines Tages aus den eigenen Kindern? Auch sie sollen einmal gut leben können.
Seinen Fans dürfte es im Laufe der Jahre ähnlich ergangen sein. Gemeinsam sind sie erwachsen geworden. „Dennoch bin ich immer noch Mellow Mark“, sagt der inzwischen 41-Jährige. Die Emotionalität sei immer noch da. Vielleicht nicht mehr ganz so stürmisch, aber dafür noch tiefer gehend. Denn mit Idealismus allein verändere man nichts, er setze jedoch Dinge in Gang. Jetzt heißt es konkreter werden – reifer und stärker.
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